Interpretation: Unsere Weltanschauung
- UN4RTificial

- 22. Aug.
- 9 Min. Lesezeit
Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass die Welt, die wir sehen, vielleicht nicht die „echte“ Welt ist?
Jeder Mensch hat ein mächtiges Werkzeug in sich, das super sein kann, aber auch gefährlich begrenzt.
In diesem Artikel reden wir über Weltanschauung und das große Spiel der menschlichen Interpretation auf einfache und direkte Weise, ganz offen und ehrlich.
Was bedeuten Interpretation und Weltanschauung?
Stell dir vor, Weltanschauung sind wie unsichtbare Filter, die wir benutzen, um die Realität zu verstehen. Mit ihnen geben wir dem, was wir erleben, hören oder sehen, einen Sinn. Jeder Mensch auf der Welt sieht die Realität durch seine eigenen Erfahrungen, Überzeugungen, Vorkenntnisse, Gefühle und Werte.
Ein einfaches Beispiel dafür ist, wenn zwei Leute dasselbe erleben, es aber unterschiedlich verstehen und darauf reagieren. Das passiert, weil jeder die Infos nach seinem eigenen emotionalen Hintergrund sortiert.
Ich weiß nicht, ob du schon mal den Satz gehört hast: „Wir sind verantwortlich für das, was wir denken, fühlen und tun, aber nicht für das, was andere interpretieren.“
Okay, Interpretation ist also nicht nur das „Verstehen“ von etwas. Dieser Prozess ist auch dafür verantwortlich, dass wir den Dingen, die um uns herum passieren, eine Bedeutung geben – oder auch nicht –, die sie mit dem verbinden, was in uns vorgeht – und umgekehrt.
Der Begriff „Weltanschauung“ ist direkt mit unserem Interpretationsprozess verbunden. Denn eine Weltsicht ist eine Reihe von Überzeugungen, Prinzipien – oder deren Fehlen –, Traditionen und Perspektiven, die die Art und Weise prägen, wie jemand die Realität sieht. Diese Reihe von Überzeugungen wird auch als Paradigma bezeichnet.
Diese Paradigmen sind bei verschiedenen Leuten, Gruppen oder Gesellschaften unterschiedlich und beeinflussen, wie sie Sachen wie Gerechtigkeit, Glück, Fortschritt, Spiritualität usw. verstehen.
Mit anderen Worten: Unsere Weltsichten helfen dabei, das, was wir als kollektiven und individuellen Sinn verstehen, aufzubauen oder zu zerstören.
Interpretation vs. Realität
Gibt es denn eine objektive Realität oder ist alles nur ein vorher abgesprochener kollektiver Wahn?
Viele Philosophen und Wissenschaftler sagen, dass es eine Realität gibt, die unabhängig von den Interpretationen unseres Verstandes ist. Sie beschreiben diese Idee der Realität als etwas, das ähnlich wie die Schwerkraft ist – sie existiert unabhängig von unserem Willen.

In diesem Sinne wären unsere Vorstellungen von „Wahrheit“ und/oder „Bedeutung“ nur eine gemeinsame Erfindung, einfach das Ergebnis dessen, was Gruppen und Gesellschaften gemeinsam glauben und schätzen. Diese „globalen Wahrheiten“ könnten zwar einen realität Funken haben, aber nur so, wie sie von den Menschen interpretiert werden.
Betrachtet man jedoch einige bestehende Denkrichtungen, so erkennt man ein wahres Sammelsurium von Weltsichten:
Skeptizismus: besagt, dass wir uns über keine Sichtweise absolut sicher sein können, da jede Form von Wissen in Frage gestellt werden kann.
Sozialer Konstruktivismus: Die Welt wird gemeinsam durch Sprache und soziale Beziehungen aufgebaut.
Empirismus: Weltsichten entstehen aus Sinneseindrücken und Beobachtungen von Ereignissen.
Epicurismus: Die Welt sollte im Hinblick auf das Streben nach Glück und die Verringerung von Leid verstanden werden.
Stoizismus: Die Weltsicht sollte sich an Vernunft und Natur orientieren und das akzeptieren, was man nicht kontrollieren kann.
Strukturalismus: Jede Weltsicht wird von unbewussten Strukturen (wie Sprache und soziale Systeme) geformt.
Existentialismus: Weltsichten entstehen aus Freiheit und persönlichen Entscheidungen.
Phänomenologie: Die Weltsicht entsteht aus direkten Erfahrungen und der Art und Weise, wie das Bewusstsein das Erlebte interpretiert.
Hedonismus: Hier geht's um das Vergnügen als oberstes Prinzip im Leben.
Humanismus: Der Mensch, seine Würde und Freiheit stehen im Mittelpunkt jeder Weltsicht.
Idealismus: Der Verstand und die Ideen formen die Realität, die wir kennen.
Marxismus: Weltsichten spiegeln die materiellen Bedingungen und Machtverhältnisse in der Gesellschaft wider.
Materialismus: Es gibt keinen Glauben an irgendeine Art von „Geisteskraft”. Für Materialisten ist die Welt physisch, feste Materie, nicht mehr und nicht weniger.
Nihilismus: Keine Weltsicht hat einen letzten Sinn oder objektiven Wert, alles ist eine große Leere ohne Grundlage.
Perspektivismus: Jede Weltsicht ist nur eine von vielen möglichen, daher gibt es keine einzige Wahrheit, die für alle gilt.
Poststrukturalismus: Es gibt keine feste Weltsicht, sondern mehrere Bedeutungen, die miteinander konkurrieren.
Positivismus: Nur wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf nachprüfbaren Fakten basieren, können eine gültige Weltsicht begründen.
Pragmatismus: Der Wert einer Weltsicht hängt von ihrer praktischen Nützlichkeit für die Lösung von Problemen ab.
Rationalismus: Die Vernunft ist das wichtigste Werkzeug, um die Welt zu verstehen und sich ein wahres Bild von ihr zu machen.
Realismus: Es gibt eine objektive Realität, die unabhängig von unseren Interpretationen ist.
Kultureller Relativismus: Jede Kultur hat ihr eigenes Paradigma, das nicht mit anderen verglichen werden kann.
Transzendentalismus: Weltsichten sind in Spiritualität und der Verbindung der Menschen mit der Natur verankert.
Utilitarismus: Die Weltsicht sollte das Wohl möglichst vieler Menschen anstreben.
Ja, das sind nur ein paar Ansichten und Interpretationen, die es über die Realität gibt. Und da es (noch) keinen eindeutigen Beweis gibt, der keine Lücken und Zweifel lässt, wird die Interpretation der Welt zu einem Wirbelwind aus Daten und Infos, die wie ein chaotisches, unaufhörliches Rauschen nebeneinander existieren.

Die Aufgabe unseres interpretierenden Verstandes ist es, all dieses Chaos (Khaos) in Kosmos (Kósmos), also in Ordnung, zu verwandeln. Er nimmt Millionen von Reizen pro Sekunde auf, ordnet sie, interpretiert sie, füllt die Lücken und gibt dann einen winzigen Teil dieser Daten an das Bewusstsein weiter, während der Rest unbewusst „im Hintergrund weiterläuft“.
Damit ist nicht die Vielzahl von Sichtweisen und Ideen das größte Problem, sondern unsere Hartnäckigkeit, daran festzuhalten, dass nur unsere Version der Tatsachen richtig ist.
Verzerrte Filter
Und jetzt sind wir bei der dunklen Seite der Macht angekommen. Unser interpretierender Verstand kann uns vor dem Wahnsinn bewahren, den absolutes Chaos bedeuten kann, aber er verurteilt uns auch zum relativen Wahnsinn der Bestätigungsfehler, der Vorurteile, der Kämpfe zwischen uns, links und rechts, Fake News...
Unsere Interpretationsfilter sind nicht neutral. Sie sehen die Infos, die das bestätigen, was wir schon glauben, durch eine Lupe, und andere, die uns herausfordern könnten, durch eine trübe Brille.
David Hume würde das mit einer einzigen Frage auf den Punkt bringen: „Siehst du wirklich einen Kausalverlauf oder nimmst du nur an, dass ein Ereignis auf ein anderes folgt?“
Um diese knifflige Frage ein wenig zu klären, nehmen wir ein Billardspiel als Beispiel.
Wir sehen einen Spieler, der den Ball A trifft, der wiederum den Ball B schlägt, wodurch dieser sich in eine bestimmte Richtung bewegt. Sehen wir die Bewegung dieser Bälle oder beobachten wir nur die Abfolge der Ereignisse und interpretieren sie als Kausalität?
Das meiste, was wir als „interpretative Lesart der Welt“ bezeichnen, ist nur eine Denkgewohnheit, eine Interpretationssucht, die sich so lange wiederholt, bis wir merken, dass wir sie automatisch wiederholen.
Worte erschaffen Welten
In diesem Spiel ist Sprache das wichtigste Werkzeug für die Interpretation, was sie auch zu einer Komplizin unserer interpretativen Vorurteile macht.
George Orwell zeigt in seinem genialen Werk „1984“, wie die Grenzen der Sprache auch Grenzen des Denkens sind.
Zum Beispiel: Wenn wir keine echten und anwendbaren Definitionen für Wörter wie „Einheit“ und „Freiheit“ haben, wie können wir dann die Bedeutung dieser Wörter verstehen?

Es geht nicht nur darum, Wörterbuchbedeutungen zu suchen, denn die Vorstellungen, die jeder Mensch, jede Kultur oder jede Gesellschaft von Liebe und Freiheit hat, sind normalerweise total unterschiedlich und vielfältig. Die in Wörterbüchern aufgeführten Bedeutungen dieser Wörter passen selten zu den Empfindungen, Gefühlen und subjektiven Interpretationen der einzelnen Menschen.
Wenn wir in diesem Beispiel noch ein bisschen weiter gehen, sehen wir, dass wir bestimmte Wörter oft wie Waffen benutzen. Ein „Angriff” wird heute auch für „Friedensoperationen” verwendet. Ein „Terrorist” wird in manchen Kulturen und Situationen als „Freiheitskämpfer” bezeichnet. Die Fakten ändern sich nicht, sondern nur die Interpretationen, die der Verstand vornimmt, oft mit Feinheiten, die durch versteckte Interessen angepasst werden.
Je nach dem, was gerade angesagt ist, werden andere Wörter wie „visionär“ oder „verrückt“ für dasselbe Verhalten benutzt und bekommen so ganz andere Bedeutungen als die, die sie eigentlich haben.
Wenn du diese Veränderungen in der Bedeutung von Wörtern selbst sehen möchtest, schau mal in einem aktuellen Wörterbuch nach dem Wort „empirisch”. Wenn du weißt, was dieses Wort bedeutet, schau mal, wie es heute verwendet wird.
Weltsichten im Zeitalter der sozialen Netzwerke
Man kann echt sagen, dass die sozialen Netzwerke zu einem Labor für Studien über interpretative und sprachliche Verzerrungen geworden sind, wo jedes kleine Stück Information eine andere und übertriebene Version von uns selbst und der Welt zeigt.
Die Netzwerke füttern uns nur mit den Narrativen, die wir akzeptieren und gerne sehen.
In manchen Fällen und wegen dieser „personalisierten Erfahrungen” werden wir zu bloßen Karikaturen unserer eigenen Meinungen.
Überinterpretation ist total angesagt, und damit lesen wir nicht nur die Welt, sondern auch, wie andere unsere eigene Lesart lesen. Das alles in einer endlosen und manchmal ziemlich sinnlosen Schleife.
Interpretation: Freiheit oder Gefängnis?
Das heißt nicht, dass wir verloren sind, aber es fühlt sich an, als wären wir auf Bewährung.
Es ist möglich, unsere Weltsicht, unsere Überzeugungen und Interpretationen zu ändern, aber das ist unangenehm, weil wir erkennen müssen, dass nicht alles, was wir für wahr halten, auch wirklich wahr ist. Ich sage das in dem Bewusstsein, dass auch meine Interpretationen Wiederholungen oder Fehlurteile sein können.
Das zuzugeben ändert zwar nichts daran, aber es hilft mir, mein Verständnis zu erweitern. Ich glaube, niemand möchte sein ganzes Leben lang glauben, dass die Schatten an der Wand realer sind als die Welt, die außerhalb der Höhle auf uns wartet („Höhlengleichnis” von Platon).

Und für alle, die sich trauen, empfehle ich „Überwachen und Strafen” von Michel Foucault, eine echte Lektion darüber, wie wir die aktuellen Systeme und Narrative interpretieren – und wie wir von ihnen interpretiert werden.
Inmitten dieses ganzen Interpretationswirrwarrs muss ich einfach die freche Weisheit von Diogenes, dem Zyniker, erwähnen, der im alten Griechenland mit einer brennenden Laterne in der prallen Mittagssonne durch die Straßen lief und laut rief: „Ich suche einen ehrlichen Menschen”. Er suchte keinen Menschen aus Fleisch und Blut, sondern eine unverfälschte Interpretation der Menschheit. In seiner brutalen Satire über gesellschaftliche Konventionen zeigte uns Diogenes, dass die meisten dieser Konventionen nur das Ergebnis einer dummer kollektiven Interpretation sind und nicht natürlichen Gesetzen entsprechen.
Einfache Zusammenfassung
Unsere Gehirne sehen die Realität nicht direkt. Sie interpretieren sie wie eine Art Simultanübersetzer.
Was diesen Übersetzer so unglaublich macht, ist seine Fähigkeit, der Welt einen Sinn zu geben, aber paradoxerweise ist er auch ein großartiger Erfinder, der Fakten verdreht, um unser Ego zu streicheln, indem er sich an erste Eindrücke klammert und sie in einer „ewigen Wiederkehr“ wiederholt.
Das Geheimnis dabei ist nicht, ihn feuern oder einfach „umprogrammieren” zu wollen, sondern ihn im Auge zu behalten, seine Arbeit zu überprüfen und bei Bedarf zu hinterfragen.
Anmerkung der Autorin:
Ich glaube, pessimistisch – und ein bisschen hoffnungsvoll –, dass interpretative Demut eine der am meisten unterschätzten Tugenden unserer Zeit ist. Zu akzeptieren, dass wir uns irren können und dass unsere Filter verzerrt sein können, ist ein Gegenmittel gegen blinden Fanatismus, Polarisierung und Angst.
Meiner Meinung nach besteht wahre Intelligenz, wenn es sie überhaupt gibt, nicht darin, die richtige Interpretation zu haben, sondern darin, flexibel genug zu sein, um angesichts neuer Beweise und Informationen zu hinterfragen und zu ändern.

Sagen wir mal, ich bin jemand, der offen dafür ist, sich zu ändern, und nicht jemand, der sich für schlau hält, aber stur alles leugnet, was nicht zu seiner Weltsicht passt. Ich hab lieber Leute um mich herum, die zugeben, dass sie „nichts wissen”, als solche, die so tun, als wüssten sie alles und für alles eine absolute Gewissheit haben. Ich denke, die größte Tragödie ist nicht, eine begrenzte Weltsicht zu haben, sondern zu glauben, dass diese Weltsicht die einzig mögliche ist.
Mach mit (oder auch nicht) – du hast die Wahl!
Sich selbst zu betrachten und die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen, kann die Suche sein, die wirklich zählt. Selbsterkenntnis ist kein Luxus, sondern eher wie ein Code, der uns hilft, unsere Filter zu verfeinern. Die Reise kann zwar etwas einsam sein, muss aber nicht isoliert sein. Wie wäre es also, wenn du deine eigene Interpretation dieses Artikels mit uns teilst?
In den Kommentaren unten kannst du deine schärfste Kritik, deine unbequemste Frage, dein zurückhaltendstes Lob und sogar deinen Vorschlag für das nächste Thema hinterlassen. Und wenn du findest, dass dieser Artikel nicht ganz falsch ist, teile ihn doch mit jemandem, der auch eine ordentliche Portion Reflexion schätzt. Nur zu, fühl dich frei.
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Vielen Dank für deine Treue und bis zum nächsten Mal!
„Die Illusion zerbricht, wenn wir die Realität hinterfragen“ – UN4RT
Quellen, Referenzen und Inspirationen:
Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken.
David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand.
Diogenes von Sinope, Leben und Meinungen berühmter Philosophen von Diogenes Laercius.
Edmund Husserl, Die Idee der Phänomenologie.
Eli Pariser, Filter Bubble: Wie wir im internet entmündigt werden.
Epictetus, Handbüchlein der Lebenskunst und Enchiridion.
Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse.
George Orwell, 1984 und Politik und die Englische Sprache.
Giuliano da Empoli, Ingenieure des Chaos.
Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts.
Michel Foucault, Überwachen und Strafen.
Allgemeine Recherchen zu Weltsicht-Konzepten in verschiedenen Denkrichtungen.
Platon, Der Staat (Höhlengleichnis).
Benjamin Lee Whorf und Edward Sapir, Die Linguistische Relativitätstheorie (Sapir-Whorf-Hypothese).
Shoshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus.




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